Die sieben Totsünden – Unterhaltsame Anmerkungen zur Lage der Gemeinde

29. Juni 2021

Grundsatzrede zur Lage der Gemeinde anlässlich der Ratssitzung am 29.6.2021, der letzten Sitzung vor der Sommerpause

Dr. Dietmar Thönnes, Bürgermeister

Liebe Ratsfrauen und Ratsherren, 

liebe Bürgerinnen und Bürger,

die Zeit seit den Pfingsttagen dieses Jahres habe ich genutzt, mir ein paar grundsätzliche Gedanken zur Lage unserer Gemeinde zu machen:

Acht Monate liegt inzwischen seit Beginn der neuen Legislatur des Gemeinderates und seit meinem Amtsantritt zurück. Ich denke, dass es gut ist, die zurückliegende Zeit zu reflektieren und das zu betrachten, was geschehen ist, wo wir erfolgreich waren – und ebenso das, was nicht geschehen ist. Diese Reflexion möchte ich – hier scheint dann doch der Theologe durch – unterhaltsam und dennoch ernsthaft anhand der Systematik der Sieben Todsünden tun. Um aber nicht „im Sündepfuhl zu versinken“, stelle ich den Todsünden als positive Aspekte die entsprechenden Tugenden gegenüber. 

Und damit Sie nicht nur etwas „auf die Ohren“, sondern auch „auf die Augen“ bekommen, „dekoriere“ ich meine kurze Rede mit den wunderbaren Bildern zu den Sieben Todsünden, die Nikola Dimitrov gemalt hat, der als Pianist und Maler im Saarland lebt und arbeitet. 

superbia

Hochmut | Stolz | Eitelkeit | Übermut

Demut

Nicht selten kommt es vor, dass diejenigen, die einen Gestaltungsspielraum haben oder deren Aufgabe es ist, zu entscheiden und andere Menschen zu führen, als hochmütig oder arrogant bezeichnet werden. Es kann auch sein, dass sie es tatsächlich sind. Und dennoch muss man sehr genau hinschauen, ob es Verantwortung oder Hochmut ist, die da zum Vorschein kommt. Gelegentlich treffen diese beiden Haltungen sicher auch zusammen und dann sind die Entscheider allzu eitel. Zu Eitelkeit, zu Stolz und Übermut können wir alle verführt werden: die Parteien, die Verwaltung, der Bürgermeister. Wenn etwas gut gelingt, wir eine Sache hinbekommen, wir als erfolgreich bewertet, dürfen wir sicher mit Recht auch „stolz“ sein. Genau dann allerdings darf nicht passieren, dass wir uns herablassend oder mitleidig lächelnd über die „Unterlegenen“ erheben. Ein Antrag, der eine Mehrheit findet, eine Strategie, die aufgeht oder ein Stein, der die anderen zum Straucheln bringt, ein kleine Erpressung, eine Position der Macht oder des bewussten Vergessens – es gibt viele Spielarten der Eitelkeit und des Hochmuts.

Es kann aber auch ungeheuer arrogant sein, jemanden zu loben, sich auf diese subtile Weise über ihn zu erheben und sein Handeln zu bewerten. 

Ich denke außerdem an alle Formen des Populismus und zum Beispiel an die beidseitigen, öffentlichkeitswirksamen „Schachzüge“ und Aktionen. Besonders in den sozialen Medien, und dort gern in den Kommentaren, wird so etwas perfekt inszeniert. Auch in E-mails, Briefen oder Telefonanrufen, die mich erreichen, erkenne ich gelegentlich eine Egomanie, die nur als Hochmut betitelt werden kann. Da denkt dann niemand mehr an die Gemeinde als Solidargemeinschaft. Da stehen dann die eigenen Bedürfnisse bzw. die einer Gruppe, einer Straße oder eines Vereins sehr weit im Vordergrund; da werden die Grenzen des guten Benehmens überschritten. Und dann? Dann ist Demut gefragt! Schön wäre, wenn diese Demut auf beiden Seiten ein kurzes Innehalten provoziert und Respekt und Mäßigung wieder Einzug in Sprechen, Schreiben und Handeln halten.

avaritia

Geiz | Habgier | Habsucht

Mildtätigkeit

Mit Beginn des Haushaltsaufstellungsverfahrens 2021 sind uns die ganze Wucht der Haushaltsmisere und der sich um unsere nähere Zukunft zuziehenden Stricke bewusst geworden. Mit dem kölschen Spruch „Et hätt noch immer jot jejange“ kommen wir nicht mehr weiter! Geiz ist angesagt und ja, „Geiz ist geil“ – aber nicht ohne Sinn und Verstand und nicht ohne Maß. Nicht Alles überall können wir einsparen, auch wenn uns das vielfach unterstellt wird. Natürlich investieren wir da, wo es unabwendbar nötig ist. Aber ganz sicher haben wir uns allen Luxus und alles nicht absolut Notwendige und Sinnvolle zu verkneifen! So theoretisch – so gut. Da sind wir einig. Wenn es aber demnächst wieder in die Diskussionen um Einzelprojekte und -zuwendungen geht, wird mit allen Mitteln darum gekämpft, um am Ende doch den „Sieg“ davon zu tragen: Sparen ja, aber nicht bei uns, nicht in unserem Ortsteil, nicht an unserem Sportplatz, nicht bei unseren Zuschüssen, nicht in meinem Wahlbezirk usw. Nicht umsonst bemühte ich das Bild der „tiefen, blutigen Schnitte“, um uns allen die Dramatik der Situation vor Augen zu führen.

Und Geiz beziehe ich bewusst auch auf andere, sehr persönliche Ressourcen: Die Zeit, die Sie und wir darauf verwenden, in der Politik zu arbeiten. Das altmodische Wort „Mildtätigkeit“ drückt in schöner Weise aus, was wir uns sagen lassen müssen: Die Gespräche, die Zoom-Konferenzen mit Bürger:innen und die Zeit, die wir tätig investieren, indem wir zuhören, zuschauen und dabei sind, in der wir erklären, erläutern und um Verständnis werben, sind gut eingesetzt. Der Souverän hat eine Rolle und Aufgabe. Und diese Rolle ist, Bindeglied zwischen den Menschen in unserer Gemeinde und der Verwaltung zu sein und ist die Rolle des Aufsichtsrates und des Vorstandes, der – und bewusst mit großen Worten ausgedrückt – zum Wohle und im Auftrag der Bürgerschaft arbeitet.

luxuria

Wollust | Ausschweifung | Genusssucht | Begehren | Unkeuschheit

Keuschheit

Uns muss bewusst sein, dass bei allen wohlgemeinten Fördertöpfen uns möglicherweise Fehlanreize geboten werden. Wir werden ein Stück weit von außen gesteuert, indem wir dem „süßen Gift der Förderung“ erliegen können, Projekte realisieren, die „eigentlich“ nicht dran gewesen wären, aber realisiert werden ohne die Folgekosten zu kalkulieren, ohne die nachfolgenden                      Verpflichtungen zu erahnen. Wir riskieren ein finanzielles Desaster, wenn wir nicht streng die eigene Priorisierung befolgen, die wir im Zweifelsfall jeweils neu justieren müssen.

Die Tugend der Keuschheit scheint in diesem Zusammenhang weniger passend – ist sie aber doch! „Keusch“ bedeutet, sich nicht verführen zu lassen, sich nicht auf die lauten Einzelmeinungen und den Lobbyismus einzulassen und seinem eigenen moralischen Kompass zu folgen. Auch das gehört in meinen Augen in die Politik, auch das ist Verwaltungshandeln.

ira

Zorn | Jähzorn | Wut | Rachsucht

Geduld

Die Wut-Rede ist ein Format, das ich erst hier im Rat in Nottuln in seiner ganzen Wucht so wirklich hautnah erlebt habe. Bis dahin war mir diese Art des Sprechens eher aus den großen Reden im Bundestag via Fernseher bekannt. Egal ob von Bürger:innen oder Ratsmenschen – es ist immer wieder ein „Erlebnis“, wenn Menschen sich in der Sache äußern und ich den Eindruck gewinne, dass sie den Kontext vergessen, Bedingungen ausblenden oder einseitig und ideologisch reden – laut, dramatisch, gelegentlich unfair, manchmal mit Argumenten aus längst vergangenen Tagen. Nicht zu verwechseln ist dieses zornige Sprechen mit den leidenschaftlichen Plädoyers, die es auch gibt, wo mit dem festen Blick auf ein Ziel um eine Lösung gerungen wird, wo ich tiefe Überzeugung und echtes, respektvolles Bemühen um Fortschritt heraushöre. Dagegen befremdet mich persönlich das gelegentlich fast rachehaften Reden übereinander. Man findet es sogar bei Facebook oder in Leserbriefen. Offensichtlich sind die Verletzungen aus der Vergangenheit oder auch der Gegenwart eine Quelle für derartig eruptive Äußerungen. Ich versuche sie in Geduld und mit einem gewissen Erstaunen zu hören und … vorübergehen zu lassen, weil sie mich manchmal in den Zustand des Fremdschämens versetzen. Ganz ohne Geduld, einer Tugend, die mir selbst allerdings eher weniger vertraut ist, kann man die Arbeit in einem Gemeinderat nicht tun und ist auch sicher kein guter Bürgermeister. Nicht selten gehen die Dinge weniger schnell als erwartet voran. Auch dann ist weniger Zorn als vielmehr die sanfte Tugend der Geduld gefragt. 

gula

Völlerei | Maßlosigkeit | Gefräßigkeit | Unmäßigkeit | Selbstsucht

Mäßigung

Beim Thema Maßlosigkeit muss ich unwillkürlich daran denken, dass vor wenigen Monaten hier im Rat sinngemäß die Aussage gefallen ist, dass es quasi die DNA von Politiker:innen sei, Geld auszugeben und zu gestalten. Schon damals habe ich ein vehementes Veto eingelegt und angemahnt, dass uns die oft perspektivlose Politik der letzten Jahre an den Rand der Haushaltssicherung gebracht hat und es AUCH Ihre und eure DNA sein muss, Politik in der Verantwortung für nachfolgend Handelnde und nachfolgende Generationen zu machen. Schön für einige Ortsteile, über Kunstrasenplätze und Dreifachturnhallen in Massivbauweise zu verfügen. Wenig gut für die Umwelt und noch schlechter für die Tilgung von Krediten, die laufenden Kosten und den gesamten Haushalt. Ganz zu Schweigen von vorsorgendem oder vorausschauendem Handeln: keine Ankäufe von Grundstücken, keine Konsolidierung. Unsere Kämmerin, Frau Block, hat das oft angemahnt, die Maßlosigkeit ist dann doch „passiert“. Es ist nun an uns, die Tugend der Mäßigung zu beherzigen. Wir haben die moralische Pflicht, verantwortungsvoll zu wirtschaften und nachhaltig zu investieren.

Und einen Satz, den ich in der letzten Zeit mehrfach gehört habe, möchte ich in Zukunft wirklich nicht mehr kommentieren: „Wir sind nicht gewohnt, dass die Verwaltung das umsetzt, was wir als Rat beschlossen haben.“ Seien Sie versichert: Ich nehme Sie ernst und werde das umsetzen, was Sie beschließen. Obacht also!

Auch das Thema Kulturförderung kommt mir in diesem Zusammenhang in den Sinn: Ist es nicht maßlos, alles zu erwarten und sich in eine Position zu bringen, die an Selbstsucht denken lässt? Angesichts der Situation werden wir alle lernen müssen, mit Mäßigung an Themen heran zu gehen und auch Teilfinanzierungen zu akzeptieren. Das ist nicht automatisch mit einem Qualitätsverlust verbunden. 

invidia

Neid | Eifersucht | Missgunst

Wohlwollen

Wem würden nicht sofort beim Thema „Neid“ die vielen Äußerungen einfallen, in welchen Ortsteil wieviel investiert wurde und wird – bei den Schulen, bei neuen Wohngebieten, bei der Renovierung von Straßen oder bei der Nachverdichtung. Selbst hier im Rat werden diese Argumente heraufbeschworen, die mit Gerechtigkeit nichts zu tun haben, sondern sich wesentlich aus Notwendigkeiten ableiten lassen. Ich unterstelle Ihnen und uns, der Verwaltung, dass wir keinen Ortsteil aus dem Blick verlieren.  

Und das positive „Wohlwollen“ leitet sich allerdings aus einem „wohl können“ ab. Die Ansprüche und Forderungen, auch der Bürger:innen und auch an mich persönlich sind groß. Wie oft höre ich „Das haben Sie aber im Wahlkampf versprochen“. Nein, habe ich nicht! Ich habe versprochen, Themen, Wünsche und Möglichkeiten zu PRÜFEN. Und auch, wenn das im Nachhinein gern missverstanden oder missinterpretiert und nicht mehr erinnert wird, gibt es dennoch ein großes Wohlwollen gegenüber den Wünschen der Bürger:innen – beim Schneeräumen, beim Instandsetzen von Wegen und Straßen oder bei vielen anderen Anfragen. Sichtbar wird das allerdings daran, dass Anfragen im Regelfall innerhalb von wenigen Stunden bis maximal Tagen beantwortet – nicht daran, dass alle Wünsche wahr werden!

acedia

Faulheit | Feigheit | Ignoranz | Überdruss | üble Laune

Fleiß

Es ist nicht nur eine Frage des Benehmens, des Anstands oder der Laune: Niemand von Ihnen wird mir widersprechen, wenn ich sage „lieber fleißig als faul“. Aber wie oft erleben wir, dass Aufgaben gern mal weitergegeben oder delegiert werden, immer wohlmeinend. Auch das umständliche und weitschweifend zu begründende Klären der „Zuständigkeit“ kann in dieser Weise gedeutet werden, Arbeiten im Team – immer wieder schön, wenn es ein anderer macht! Und auch in der Ratsarbeit erleben wir dieses Phänomen: Ja, wir müssen etwas tun. Die Verwaltung möge dazu einen Vorschlag machen, möge dies oder jenes recherchieren. Oder wie oft kommt es vor, dass der Verwaltung unterstellt wird, ein Förderprogramm nicht gesehen oder einen Auftrag nicht sauber ausgeführt zu haben. Eine Kultur des Fleißes bedeutet für mich auch, dass sich all diejenigen konstruktiv und mit einem zeitlichen Invest einbringen, die ein Thema voranbringen können. Und diese Tugend erlebe ich bei vielen von Ihnen.

Für mich selbst bedeutet „Fleiß“ statt Ignoranz und Feigheit, auch unangenehme Wahrheiten zu formulieren, unser Geschäftszimmer nicht meine gelegentlich nach der morgendlichen Leserbrieflektüre weniger gute Laune spüren zu lassen. Es mahnt mich zur Selbstbeherrschung, zur Disziplin und auch, viel Zeit in das tatsächliche Arbeiten zu investieren. Und das tue ich noch immer leidenschaftlich gern!

Am Ende möchte ich unseren Blick noch einmal auf die großen Themen lenken und das durch die Brille der Todsünden und der Tugenden:

Eine der Sünden unserer Zeit ist sicherlich die Soziale Ungerechtigkeit. Wir tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, unsere Gemeinde für ALLE  lebenswert zu halten und zu machen. Es gelingt uns oft gut. Wenn ich aber an bezahlbaren Wohnraum, den Klimaschutz oder die Förderung einer guten und preiswerten Mobilität denke, scheinen mir die Schwerpunkte, die wir verfolgen, noch erhebliches Potenzial zu bieten. 

Eine der wenigen Chancen, unsere Einnahmen zu steigern, liegt in der gezielten und qualitativ gesteuerten Ansiedlung von Gewerbe. Ohne sich von den Versprechungen verführen zu lassen und ohne sich Größenfantasien hinzugeben, werden wir mit der nötigen Geduld dieses Thema eng abgestimmt voran treiben. 

Die Zusammenarbeit mit dem Kreis und den Umlandkommunen müssen wir nutzen. Wir wissen, dass die Kommunalaufsicht uns fest im Blick hat. Ich möchte aber mit Ihnen und euch zusammen „vor die Welle kommen“ und mich nicht treiben lassen. Wir müssen uneingeschränkt den Weg der Konsolidierung und der Sparsamkeit weiter gehen – noch Jahre lang! Gut, dass wir im letzten Haupt- und Finanzausschuss uns dazu in guter Weise verständigt und die Beschlüsse einmütig gefasst haben. Das bremst nicht unseren Plan „Nottuln 2030“. Die Haushaltsdisziplin wird uns allerdings Geduld abfordern, damit wir gemeinsam die richtigen und Rendite-trächtigen Investments tätigen.

Außerdem werden wir im Anschluss an die Pandemie weiter nach Freiräumen für Kinder und Jugendliche suchen. Sie sollen im Ort sichtbar sein, Platz haben und sie sollen gefördert und begleitet werden. Ob ein Skatepark, der von vielen gewünscht wird, realisierbar ist, das sollten wir mit Geduld und Zuversicht prüfen und das Projekt nicht aus den Augen verlieren.  Mit dem Format „Politik vor Ort“ lade ich Sie und euch zweimal im Jahr zu einem Veranstaltungsformat ein, um zu den Themen der einzelnen Ortsteile direkt in Kontakt mit den Bürger:innen zu gehen. 

Auch Inklusion und Integration sind zwei Themenfelder, die ohne Eitelkeiten weiter zu verfolgen sind. Wir haben kleine Themen umgesetzt, aber auch die größeren sollten wir mutig angehen – ähnlich wie das Thema Digitalisierung nach viel Einsatz und Überzeugung dann am Ende doch eine  Erfolgsgeschichte geworden ist!

In meiner Rede zu Beginn unserer Amtszeit im November habe ich gesagt, dass alle Ortsteile unseren Rückenwind verdient haben. Das kann und will ich heute nicht anders formulieren sondern ausdrücklich bekräftigen! Und ganz ehrlich glaube ich, dass ein Aufwind zu spüren ist, für den wir gemeinsam verantwortlich sind. Danke dafür!

Heute ist wieder so ein Tag, der uns, den Rat der Gemeinde Nottuln an unsere gemeinsame Verantwortung erinnert! 

Nach dieser Ratssitzung wünsche ich Ihnen einen guten und erholsamen Sommer! Und ich freue mich, mit Ihnen allen, nach den Ferien wieder in die gemeinsame Arbeit einzusteigen – für Nottuln!