Lotte Bach (1908-1995) – Dietmar Thönnes
– Dietmar Thönnes4. März 2020
Sehr geehrte Frau Bach,
kaum, dass ich nach Schapdetten gezogen war, fiel mir beim Spazierengehen Ihr wunderbares Haus auf. Sie wohnten dort allerdings schon nicht mehr, weil Sie leider ein paar Jahre zuvor gestorben waren. Wie gern hätte ich Sie persönlich kennengelernt! Immerhin erinnert mich bis heute der „Lotte- Bach-Weg“ daran, dass Sie für die Schapdettener eine wichtige und erinnerungswürdige Frau waren. Sie waren weit über die Region hinaus bekannt durch ihre Stickarbeiten, insbesondere durch die Hungertücher, mit denen in der Fastenzeit Kreuze oder Altäre in den Kirchen verhängt werden. Als„gesticktes Gotteslob“ wurden Ihre Arbeiten bewertet und wertgeschätzt. Als jüngstes von fünf Geschwistern wurden sie 1908 in Schwerte geboren. 1912 verkaufte dann Ihr Vater das Haus und zog nach Münster in eine Mietwohnung, um Ihren Geschwistern und Ihnen den Besuch der Höheren Mädchenschule zu ermöglichen. Das Schul- und Fahrgeld, das Ihre Familie für die Bildung der Töchter hätte aufbringen müssen, wäre Ihren Eltern nicht möglich gewesen. Ich empfinde es als einen mutigen und großen Schritt, dass Ihre Eltern alles aufgegeben haben, um Ihnen und Ihren Schwestern eine möglichst gute Ausbildung zu ermöglichen. So viel Weitsicht spornt mich an, alles zu tun, um beste Ausbildungsmöglichkeiten für unsere Kinder zu erhalten und zu schaffen.
Nach Ihrer Schulzeit, die Sie wegen einer schweren Lungenerkrankung nicht wie geplant in Münster zu Ende bringen konnten, haben Sie eine Ausbildung zur Stickerin und Paramentikerin absolviert. 1932 richteten Sie eine erste Werkstatt in Münster ein. 1944 mussten Sie schließlich Münster verlassen und wegen der Kriegswirren wohnten Sie mehrere Jahre im inzwischen abgerissenen Wasserschloss Haus Kückeling in Appelhülsen. 1953 bezogen Sie dann endlich Ihr eigenes Haus in Schapdetten. 42 Jahre lang haben Sie am stillen Waldrand in der Bauernschaft oberhalb von Schapdetten gewohnt und gearbeitet.
Sie selbst haben sich bescheiden immer als Kunsthandwerkerin bezeichnet. Ihre vielen Freunde sahen in Ihnen eine begeisterte und begeisternde Künstlerin. Niemals haben Sie ans Aufhören gedacht. Untätigkeit war Ihnen zuwider. In dieser Hinsicht fühle ich mich Ihnen besonders nahe. Mir geht es auch so, dass ich mir kaum vorstellen kann, einmal nicht mehr zu arbeiten oder etwas zu tun zu haben.
Sie sind geprägt von den Kriegs- und Nachkriegsjahren und für Sie wurde Sparsamkeit zur Selbstverständlichkeit. Sie ernährten sich aus dem eigenen Garten und kauften nichts ein, das Müll verursachte. Ihre Biographin beschreibt Sie als eine „Grüne“ der stillen Art. Welch eine moderne Art des Lebens! Wenn wir uns heute anschauen, welche Aufgaben vor uns liegen, dann ist es genau das: wenn möglich regionale Produkte möglichst unverpackt kaufen, wenig Müll produzieren und Dinge des täglichen Lebens nachhaltig nutzen, eher flicken und reparieren lassen, als sie wegzuwerfen. Die jungen Leute heute und die Fridays for Future-Bewegung haben Sie in Ihrer Zeit in mancherlei Hinsicht schon vorweg genommen. Für mich heute sind das wichtige Themen, weil der schonende Umgang mit den Ressourcen, sei es beim Bauen oder beim Leben, ein Ziel ist, für das ich mich einsetzen möchte. Ebenso geht es mir darum, den klimaschädlichen Verkehr so weit wie möglich zu vermeiden und aus Nottuln heraus zu halten, auch wenn das den Rückbau von manchen Straßen bedeutet. Das wird man gut mit allen Betroffenen absprechen müssen.
Und Sie waren sehr Ihrer, unserer Heimat verbunden: 1977 wollte die St. Bonifatius- Gemeinde in Schapdetten eine Hungertuch für ihre Kirche haben. Was lag näher, als Sie mit diesem Projekt zu beauftragen? Sie haben dann eine Technik gefunden, dass geschickte Frauen des Dorfes beim Sticken des Werkes helfen konnten. Die Konturen der Bilder stickten Sie selbst, die Hintergründe konnten 40 Laienstickerinnen aus dem Dorf bewältigen. Auf diese Weise entstand ein Hungertuch im wahrsten Sinn des Wortes als Gemeinschaftsarbeit. Als Erinnerung an die fleißigen, helfenden Hände haben Sie dann die Namen der Stickerinnen im oberen Teil der Rückseite selbst eingestickt. So wird deren Andenken bewahrt. Auch das ist ein sehr wichtiger Punkt: Diejenigen, die sich für eine Sache einsetzen, nicht zu vergessen, ihnen dankbar zu sein und sie zu würdigen.
In der Fastenzeit schaue ich immer gern auf dieses große Werk, an dem so viele Hände mitgearbeitet haben. Es scheint mir, dass auch unsere Gemeinde ein bisschen wie ein solches Gemeinschaftswerk ist, wo viele mitarbeiten, professionell und ehrenamtlich. Am Ende entsteht ein großes Ganzes daraus und auch, wenn manches Fädchen vielleicht schief gestickt ist – es kommt auf die schöne Gesamtwirkung an und darauf, dass alles zusammenhält. Ich hoffe, dass ich viele fleißige Hände (und Köpfe) motivieren kann, das große Werkstück „Nottuln“ ein bisschen schöner und lebendiger werden zu lassen.
Herzliche Grüße
Ihr ergebener