Nottuln schillert bunt – ein Fest für Demokratie und Toleranz!

4. Dezember 2020

Liebe Bürgerinnen und Bürger von Nottuln, 

liebe Gäste!

„Nicht weniger, sondern mehr Demokratie – das ist die Forderung, das ist das große Ziel.“ – Gustav Heinemann hat es so formuliert. 

Und heute stehen wir hier, feiern die Demokratie, die „Herrschaft des Volkes“, und schauen direkt auf diejenigen, die sich offensichtlich nach weniger Demokratie, nach weniger Farben, weniger Freiheit und weniger Selbstbestimmtheit sehnen. Was ist nur heute los? Woher kommt diese neue Faszination des Autoritären, die in aller Welt zu spüren ist, auch in Europa, auch in unserem eigenen Land, in unserer Gemeinde? Woher kommen die Lockrufe derjenigen, die die liberale Demokratie und ihre Repräsentanten verachten und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage stellen?

Immerhin sind 0,6 % der Stimmen bei der letzten Kreistagswahl 2020 im Kreis Coesfeld an die AfD gegangen. Es gibt sie also auch hier bei uns. Es ist die Partei, deren Co-Vorsitzende und stellvertretende Bundessprecherin Alice Weidel gesagt hat: „Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschafts-wachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“ Was für eine Menschenverachtung, die darin zum Ausdruck kommt!

Viele solcher Zitate findet man von führenden Politikerinnen und Politikern dieser Partei. An dieser Stelle verzichte ich auf weitere, weil wir unseren Blick auf die positiven Fakten, auf die Aufbruchstimmung und auf uns selbst richten wollen! 

Wir haben aus unserer Geschichte gelernt und besitzen eine Erinnerungskultur. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass nie wieder Menschen ausgegrenzt und ermordet werden. 

Gemeinsam engagieren wir uns für eine lebens- und liebenswerte Welt und wollen auch für unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft. Wir stellen uns allen Herausforderungen unserer Zeit und engagieren uns für eine Politik der Menschlichkeit, der Integration und des Friedens!

Aber unsere Demokratie hat auch 2020 noch keinen Ewigkeitswert. Es gibt gesellschaftliche Fliehkräfte in unserem Land und die sind in den vergangenen Jahren erheblich gewachsen. Gegensätze werden größer, Mauern höher und der Ton schärfer: Gerade die offene, die liberale Gesellschaft steckt voller Widersprüche, voller Konflikte, voller Zumutungen. Wir müssen das aushalten, den Widerspruch akzeptieren und uns daran abarbeiten. 

Die wachsende Polarisierung der Gesellschaften verschafft Populisten Auftrieb, die das Eigene absolut setzen. Kompromissbereitschaft tun sie als Schwäche ab und ihr „Wir“ ist lediglich eine Verlängerung des eigenen „Ich“. 

Von denen, die die Parteiendemokratie abgeschrieben haben, kommen keine überzeugenden Lösungen, wie eine politische Kompromissbildung und Verantwortung anders und besser zu bewerkstelligen ist. Ich bin überzeugt, dass es uns gelingen muss angesichts dieser neuen Fliehkräften Menschen zu integrieren und alte Strukturen ganz grundlegend zu öffnen für neue gesellschaftliche Realitäten. Vor allem muss es uns gelingen, auch heute wieder glaubhaft und mitreißend eine Zukunft zu entwerfen. 

Willy Brandt hat das Motto von Gustav Heinemann erweitert. Er sagt nicht „Mehr Demokratie ist das Ziel“ sondern formuliert eine Aufforderung: „Mehr Demokratie wagen!“

Wie gern würden wir das hier und heute gern und leichtfertig bejahen, obwohl Brandt das nicht ganz so bequeme Wörtchen „wagen“ hinzufügt hat. Aber ich fordere Sie und euch auf: Wagt es! Man muss sich aufraffen für die Demokratie. Denn so selbstverständlich, so gefestigt sie auch scheinen mag – ihre Zukunft ist offen, heute vielleicht offener denn je. 

Das macht uns keine Angst – im Gegenteil: Die Demokratie ist die Staatsform der Mutigen!

Und machen wir es konkret: Ich möchte der AfD nicht die Rolle eines Opfers zugestehen, indem wir unsere Amtmannei als Versammlungsort verwehrt hätten. Abgesehen davon, dass wir das Recht nicht haben, wäre das nicht nur undemokratisch gewesen, sondern hätte ihnen einmal mehr die Bühne bereitet, um sich als Opfer der „durch die Medien beeinflussten“ Gesellschaft zu stilisieren.

„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“, heißt es oft aus den Reihen der Rechtspopulisten. Ja, das dürfen sie! Denn wir leben in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit eine der wichtigsten Grundsätze darstellt. Wie viel Arbeit, Toleranz und Kompromissbereitschaft wir für diese Demokratie aufbringen müssen, sehen wir heute Abend. Aber wir tun es und geben ihnen wortwörtlich sogar einen Raum für ihre Meinungen. Aber diese Meinungen teilen wir ganz und gar nicht. Wir rufen unsere in die Nacht hinaus – gemeinsam, laut und bunt!

Und mit Voltaire, dem französischen Dichter, dem überzeugten Europäer und sarkastischen Redner, möchte ich in die Alte Amtmannei herüberrufen: „Ich verabscheue, was Sie sagen, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie es sagen können.“

Weniger Demokratie ist keine Alternative – nicht für Deutschland, nicht für den Kreis Coesfeld und erst recht ist weniger Demokratie keine Alternative für unser gastfreundliches, schönes Stiftsdorf!

Nottuln schillert und leuchtet bunt.

Und wir wagen es und feiern gemeinsam – 

für Frieden und die Würde aller Menschen, 

für Demokratie und für Toleranz!