Parallelwelten 1/2

30. Mai 2020

Freitagmorgen um 8:00 Uhr schob ich mein Fahrrad zwischen die vielen anderen, meist bunten Räder auf dem Parkplatz der Liebfrauenschule: Ich hatte mich mit Herrn Willenborg, dem Schulleiter, zum Kennenlernen und zum Austausch verabredet. Das pädagogische Konzept, die räumliche und personelle Situation, individuelle Fördermöglichkeiten, engagierte Eltern und Lehrer, ein ausgewogenes Miteinander und viele Themen mehr haben wir in knapp zwei Stunden besprochen – auch seine Wünsche für die Zukunft. Und ich fühlte mich wie in einer Parallelwelt. Nicht, weil Schule eine ganz eigener Kosmos ist, sondern weil ich mich daran erinnerte, dass ich vor Jahren mit meiner Unternehmensberatung eine Schulstiftung im Norden begleitet habe. Dort gab es den Wunsch, Strukturen und die Kommunikation neu zu ordnen und einen Schulkomplex mit Grundschule, Regionaler Schule und Gymnasium zu beraten. Es war eine Herausforderung, aber am Ende stand ein bis heute gut funktionierendes System. Führungsbeziehungen und Aufgaben waren geklärt, Kommunikationsformate angepasst und so reduziert, dass alle nicht nur gut informiert, sondern auch beteiligt wurden; Überflüssiges aber konnte gestrichen werden. Manche Themen wurden digital gelöst. So sahen Schülerinnen und Schüler zum Beispiel die aktuellen Vertretungsstunden per Bildschirm im Pausenbereich – eine sehr flexible, preiswerte und schnell umgesetzte Lösung. Trotz der nötigen personellen Veränderungen, die ich begleitet habe, war am Ende die Zufriedenheit bis hinein in den Bereich der Betreuung der Kleinsten sehr groß. Aufmerksam zuhören und vor allem Entscheidungen umsetzen – manchmal gar nicht so einfach!

Angesichts der Konsolidierung des Haushalts unserer Gemeinde erinnerte ich mich an eine der erschreckendsten Situationen in meinem Berufsleben: Ich hatte gerade einen umfangreichen Beratungsauftrag mit meiner Firma „planum d“ bei einem großen Arbeitgeber im Gesundheitswesen begonnen. In der Budget-Sitzung zum Jahresauftakt fiel plötzlich ein Rechenfehler auf, so dass der vermeintliche Gewinn sich in einen Negativsaldo umkehrte. Mit dieser Erkenntnis wandelte sich mein Auftrag: „Schaffen Sie es, das Millionenloch zu stopfen!“ Unter Beteiligung aller Abteilungen haben wir wichtige Prozesse, Kostentreiber und lieb gewonnene Gewohnheiten durchleuchtet („Das haben wir aber doch schon immer so gemacht…“). Die Erkenntnisse wurden in einer schlichten Excel-Tabelle dargestellt und zügig die vielen kleinen (Schlupf-)Löcher gestopft. Außerdem wurde deutlich, wo durch zielorientiertes Wirtschaften auch erhebliche zusätzliche Erlöse gemacht werden konnten. Die Umsetzung hat zwar ein gutes Jahr in Anspruch genommen, aber eine nachhaltige Wirkung erzielt. Entscheiden und konsequent handeln – es zahlt sich aus!

Die gegenwärtige Krise erlebe ich als Déjà-vus: Im Krisenjahr 2008/2009 war ich als Vorsitzender der Geschäftsführung in der ohnehin schon schwierigen Wirtschaftsregion Hagen/Ennepe-Ruhr-Kreis und hatte dort die Verantwortung für viele hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsagentur und des Jobcenters. Zu allererst musste in der Krise die Beschäftigung für viele tausend Menschen über das Instrument der Kurzarbeit gesichert werden. Auch andere flexible Modelle der Arbeitszeitgestaltung habe ich in dieser Zeit mit Unternehmerinnen und Unternehmen diskutiert und begleitet. Dann ging es an den Wiederaufbau. Die Bundesregierung stellte Fördermittel bereit, mit denen Unternehmen nicht nur Innovationen umsetzen, sondern gleichzeitig die Beschäftigung langsam wieder hochfahren konnten. Im Nachhinein war es eine gute Erfahrung, dass wir die Krise gemeistert haben und mit gezielten Fördermaßnahmen schnell wieder in die Normalität zurückfanden. Ohne eine Portion Hemdsärmeligkeit wäre das nicht so gut gelungen!

Eine noch größere Herausforderung war der Aufbau des Qualitätsmanagements für die gesamte Organisation der Bundesagentur für Arbeit mit ihren 100.000 Beschäftigten. Dieses Projekt hatte ich übernommen, nachdem es bereits mehrfach gescheitert war. Auf den ersten Blick könnte man denken, dass diese beiden Organisationen, der Riese Bundesagentur und das überschaubare Nottuln, wenig miteinander zu tun haben. Weit gefehlt! In der vergangenen Woche konnte ich endlich wieder deutlich mehr Gespräche mit Unternehmern, mit Vereinsvorsitzenden und interessierten Bürgerinnen und Bürgern – auch in den Telefonsprechstunden – führen. Dabei wurde mir klar: alle Veränderungen und jede Verbesserung im Kleinen wie im Großen beginnt damit, dass man sich sehr menschlich auf das jeweilige Gegenüber einlassen muss. Zuhören, Wahrnehmen und Verstehen sind die Tugenden einer guten Führungskraft, wenn man am Ende viel bewegen möchte. Sich im Gespräch auf die Seite und Sichtweise des Gesprächspartners oder auch eines Aufsichtsgremiums einzulassen, öffnet oft neue Horizonte. Es bewirkt ein Verständnis für deren Befindlichkeiten und Wünsche. Gestern in der Telefonsprechstunde habe ich lange mit einer älteren Dame gesprochen, die mich beeindruckt hat. Sie bemängelte eine schlechte Wegstrecke, zu wenige Bänke im Rhodepark und eine fehlende Brücke über die Umgehungsstraße. „Eine Kleinigkeit“ könnte man denken, aber eine große Einschränkung für jemanden, dessen Radius ohnehin schon kleiner geworden ist. Diese Dame war übrigens so konsequent, am Ende des Gespräches zu fragen, wann sie denn von mir eine Antwort bekommt. Alle Achtung – das Nachhalten und verfolgen von Aktivitäten und Erfolgen gehört dazu, im Großen wie im Kleinen! Ich habe ihr einen Rückruf in vier Wochen zugesagt und mir den Termin im Kalender eingetragen. 

„Wollen führt nur mit Können zum Erfolg!“ (ein altes chinesisches Sprichwort, könnte man meinen…)